Interview mit Landmama Anja. Mutter von drei Kindern, Managerin, Köchin, Organisatorin, Pädagogin, Bäuerin. Und was sie sonst noch so macht, lest ihr hier:
Du hast studiert (nicht Landwirtschaft) und die halbe Welt bereist. Nun lebst du in einem kleinen Dorf bei Paderborn aufm Hoff – so richtig! Mit vielen Tieren, Obst- und Gemüseanbau, solidarischer Landwirtschaft, Bauernhoferlebnispädagogik, Hofladen und und und (Die Hofpage findet ihr hier).
- Wie gefällt dir das Landleben?
Gut, aber eigentlich merke ich das immer nur dann, wenn ich bei anderen Leuten in der Stadt zu Besuch bin. Wenn ich zuhause bin, nervt es mich manchmal.
- Siehst du dich als Bäuerin?
Für mich waren Bäuerinnen immer die mit Kittelschürze und Kopftuch. So bin ich natürlich nicht. Einmal hat ein Kind, dass auf unserem Hof war und meinen Namen vergessen hatte, gesagt: Frau Bäuerin, ich hab da mal ne Frage. Ja, wahrscheinlich bin ich auch ein bisschen zur Bäuerin geworden. Ich mache halt eher PR und Büroarbeit, aber das gehört eben auch dazu.
- Wie sieht dein Alltag aus?
Jeden Tag anders. Aber in der Regel stehen wir etwa um sieben Uhr auf (wir haben ja zum Glück keine Milchkühe, die gemolken werden müssen). Die Kinder gehen um halb acht in den Kindergarten und dann ist es sehr unterschiedlich. Ich versuche am Wochenende den Essensplan für die ganze Woche zu machen und gucke wer wann da ist an Mitarbeitern und Freiwilligen. Zum Mittagessen sind wir immer 8-9 Personen. Montags kaufe ich dann schon möglichst viel ein.
Morgens versuche ich erst immer das gröbste an Unordnung zu beseitigen, was sich den Tag über mit drei Kindern angesammelt hat. Wenn die Kleinste dann schläft, versuche ich so viel Büroarbeit wie möglich zu machen. Denn am Nachmittag, wenn die Kinder aus dem Kindergarten kommen, sind wir einfach ganz viel draußen. Ich versuche so weit es geht am Nachmittag auf dem Hof mitzuhelfen. Die Naturpädagogik ist ja meins. Da mache ich allerdings momentan vor allem die Organisation und das Konzeptionelle und natürlich die Betreuung der Mitarbeiter. Beim Jahreszeitenkurs, den wir in diesem Jahr begonnen haben, mache ich aber auch mit.
Insgesamt bin ich wohl für das drum herum zuständig. Telefon, Büroarbeit, Mails beantworten, Kinderbetreuen, einkaufen gehen, kochen, …
- Was machst du davon am liebsten und was magst du gar nicht?
Das ist unterschiedlich. Ich mache total gerne die Bildungsarbeit und auch die Öffentlichkeitsarbeit. Eigentlich würde ich auch gerne bloggen, aber dafür fehlt mir die Zeit. Ich fuchse mich außerdem in die Buchhaltung ein. So Finanzgeschichten finde ich gar nicht so langweilig, wie ich immer dachte. Früher habe ich mehr richtig mitgeholfen auf dem Hof. Das fehlt mir so ein bisschen. Aber das ist halt total schwierig mit Kindern. Da kann man nicht auf Dächer klettern. Steckdosen anschrauben in der Wohnung mache ich wohl noch, aber ansonsten wird’s schwierig. Ich bin lange keinen Trecker gefahren. Das ist schade. Ich würde da auch gerne noch mehr lernen. Aber ich verschiebe das einfach. Das kann ja auch noch kommen.
Schwierig finde ich, dass es keine Pausen gibt. Mein Mann ist halt ein absoluter Workaholic. Der hat Energie von hier bis Castrop-Rauxel. Und ich hätte halt gerne auch mal eine Auszeit. Im Sommer ist es besonders schwer, denn da arbeitet er immer so lange es hell ist. Ich würde auch gerne mal wieder weg fahren oder einen Ausflug um des Ausflug willen machen und nicht, um sich irgendwo einen Schlepper anzugucken.
Der Sonntag unterscheidet sich oft nur dadurch von den Werktagen, dass dann eine saubere Arbeitshose angezogen wird.
- Wie sehr sehnst du dich nach städtischer Anonymität?
Wir stehen halt sehr unter Beobachtung. Wir sind die Biobauern mitten im Dorf. Zu so einem Hofleben, wie wir das führen hat jeder eine Meinung. Nicht, dass wir uns sehr danach richten, was die Leute sagen, aber es strengt manchmal schon an.
- Mal grob über den Daumen geschätzt: Wie viele Menschen erziehen/ betreuen deine Kinder mit?
Meine Schwiegereltern, mein Schwager und Inge, eine Freundin, die mit auf dem Hof lebt. Das sind schon mal vier Leute, die die Kinder ständig sehen und wo sie sagen: Mama, du bist blöd. Ich geh jetzt zu Inge. Oder: Dann esse ich halt bei Oma – Schokolade. Dann haben wir halt noch Mitarbeiter und viele Freiwillige (Wwoofer). Die Freiwilligen kommen aus aller Welt und arbeiten bei uns. Insgesamt sind es bestimmt fünf bis zehn Personen, die die Kinder mit betreuen. Dabei ist es mir schon wichtig, dass die Kinder wissen wer Mama und Papa sind (und wer das letzte Wort hat). Ich will jetzt nicht so kommune mäßig leben, wo alle gleich sind.
- Was können Kinder auf eurem Hof entdecken?
Hühner, Enten, Pferde, Schafe, Katzen und Rinder. Und neuerdings, durch die Solidarische Landwirtschaft, auch einen Folientunnel und Gemüse. Das ist auch spanend was da so wächst. Eine Obstwiese mit vielen Obstbäumen. Einen Heuboden. Natürlich Trecker und alles mögliche an Gerätschaften. Seit einiger Zeit schicken wir die Eltern bei Kindergeburtstagen nach Hause. Wir feiern nur noch ohne Elternbegleitung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Eltern den Kindern häufig Dinge abnehmen. Die meinen das ja nicht böse. Aber wenn die Leiter sehr steil ist und das Kind sich nicht zutraut dort hochzuklettern – schwups, ist es hoch getragen. Ihm die Zeit zu geben, es doch mal zu versuchen, ist dann nicht möglich. Neulich hatten wir eine Kindergartengruppe da, die die Kühe nicht füttern durften, weil in dem Zaun Strom war. Aber wenn man mit dem Grashalm an den Zaun kommt, dann ist das eben auch eine Erfahrung, dass das so pitzelt. Da fällt niemand tot um. Aber dadurch, dass die meisten Erwachsenen selber keinen Kontakt zur Landwirtschaft haben, gibt es da Ängste, die ich nicht teilen kann. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann mussten wir um sechs Uhr zuhause sein, weil es dann Essen gab. Bis dahin sind wir ohne Aufsicht durch Wald und Wiese. Das gibt es heute nicht mehr. Ich möchte, dass unser Hof ein Ort ist, auf dem Kinder ohne elterliche Aufsicht (nicht ganz ohne Aufsicht) Abenteuer erleben können. Das sie Sachen ausprobieren können und dann fällt man mal volle Kanne in die Matsche.
- Du bist eine echte Landmama (von drei Kindern), welche Vor- und Nachteile siehst du für deine Kinder darin, dass sie auf einem Bauernhof aufwachsen?
Mein Mann sagt immer, dass er es gehasst hat auf dem Trecker zu sitzen, wenn alle anderen am Baggersee lagen. Im Moment sind sie noch klein, da können sie laufen und sich schmutzig machen – ich glaube, dass ist ein großer Spaß. Ein bisschen Angst habe ich vor Hänseleien, wenn sie groß sind (nach dem Motto, du Bauerntrampel und so). Gerade kommen alle gerne zu uns. Bei uns ist was los, da gibt es was zu tun, es gibt Tiere. Das finden alle gut. Manchmal mache ich mir sorgen, weil ich so wenig Zeit habe. Die Kinder laufen halt mit. Das ist einerseits gut, weil sie den Alltag mitbekommen, aber manchmal müsste ich mir mehr gezielt Freiräume schaffen, um mit den Kindern zu basteln oder zu malen. Das mache ich zwar auch, aber wahrscheinlich machen andere das noch häufiger. Auch nehme ich mit ihnen nicht an irgendwelchen Kursen teil – Musik oder turnen oder so. Theoretisch bietet der Hof genug Programm für sie, aber vielleicht fehlt ihnen das irgendwann. Wir kommen hier halt nicht oft weg.
- Was ist dir wichtig an deine Kinder weiterzugeben?
Das ist schwierig. Die gucken sich eh alles von mir ab. Also muss ich authentisch sein und dass ich nicht perfekt bin, sollen sie auch wissen. Ich hätte gerne glückliche, zufriedene Kinder. Egal, was sie mal machen. Ich weiß gar nicht, wie ich das weitergeben soll oder vermitteln kann. Klar ist bei uns Nachhaltigkeit ein großes Thema, da sprechen wir oft drüber. Außerdem bekommen sie viele unterschiedliche Leute mit und ich möchte gerne offene Kinder haben, die vorurteilsfrei durch die Welt marschieren. Das ist ein riesen Vorteil unseres bunten Hoflebens.