Wenn man in keine Schublade passt
Sind das jetzt Aussteiger, Quereinsteiger, Landwirte, Gastonomen, Ökos, Hipster, Normalos?
Die Frage stellen sich Menschen (auch aus unserem näheren Umfeld) wohl regelmäßig. Irgendwie passen wir in keine Schublade so richtig rein. Wir finden das ganz gut, andere tun sich schwer damit. Deshalb heute ein paar erläuternde Worte zu unserem Leben, unserer Arbeit und was wir so wollen.
Vor fünf Jahren sind wir aus der Stadt zurück auf’s Land. Diese Entscheidung stieß allgemein auf große Irritation. Die Gespräche damals liefen ungefähr so ab. Ich: Wir ziehen nach Göttingen? Arbeitskollege: Oh, wie schön! Ich: Nein, nicht das Göttingen. Ein Dorf in Westfalen. Auf einen Hof. Arbeitskollege: Oh.
Wir hatten gute Jobs und ein wirklich nettes Leben in der Stadt. Wir hätten auch da bleiben können. Wir wären den ganzen Tag irgendwo arbeiten gegangen und wären normal unzufriedene Menschen gewesen. Das Problem war nur, dass uns das total sinnlos erschien. Wir wollten uns etwas aufbauen. Selbstständig und frei, unsern Tag füllen mit Dingen, die wir mögen und für sinnvoll erachten und nicht nur mit Sachen, die erledigt werden müssen.
Die Landwirtschaft wiederbeldeben
Deshalb sind wir zurück auf den elterlichen Hof meines Mannes. Hier gab (und gibt) es viel zu tun, aber eben auch viele Möglichkeiten. Unser Ziel war es von Anfang an den Bauernhof wieder zu beleben und ihn zu einem lebenswerten Ort zu machen. Dazu haben wir zuerst den Kuhstall renoviert und wieder Kühe gehalten (Mutterkuhhaltung). Das ist die große Leidenschaft meines Mannes. Hier kann er sich körperlich austoben und sehr vielseitig einbringen. Denn besonders die Bewegung und die Arbeit draußen fehlten ihm vorher. Naja, jetzt kann man sagen, wer eine Bankausbildung gemacht und BWL studiert hat, der muss mit einem Bürojob rechnen 😉 Halbtags hat er den auch noch und das ist eine gute Kombi. Außerdem ist sein Hintergrund total hilfreich, denn die Büroarbeit in Landwirtschaft und Gastronomie ist enorm.
Auch ich habe die Hofarbeit mit der Zeit zu schätzen gelernt. Früher habe ich behauptet, ich sitze gerne den ganzen Tag alleine am Schreibtisch (das tue ich auch heute noch), aber zwischendurch draußen zu arbeiten, mit dem ganzen Körper und allen Sinnen, das macht schon Spaß. Allerdings musste ich erst lernen, mich darauf einzulassen. Ich war es gewohnt nach einem genauen Zeitplan vorzugehen. Das klappt in der Landwirtschaft aber nie. Irgendwas ist immer. Manchmal denke ich der Tag draußen besteht aus Problem – Lösung, Problem – Lösung, … hat auch seinen Reiz, aber zu Beginn reizte es mich auf andere Weise.
Kinder auf dem Bauernhof
Nachdem ich entdeckt habe, wie viel Spaß es macht Hof und Natur mit Kind zu erleben und was ich selber dabei lernen kann, habe ich mich zur Bauernhoferlebnispädagogin ausbilden lassen. Ich habe gemerkt, dass es mir ein Anliegen ist Kindern zu zeigen, wo unser Essen her kommt oder mit ihnen die Schätze der Natur zu erforschen. Ich krieg die Krise, wenn sie nicht wissen, dass Kartoffeln in der Erde wachsen oder dass man Beeren vom Strauch essen kann. Ich will das wir bei jedem Wetter draußen sind, die Zeit nicht total durch geplant ist und wir uns viel bewegen. Das alles ist nicht mehr selbstverständlich und es ist mir zu einem echten Anliegen geworden dagegen zu steuern. Das hätte ich ehrlich gesagt vorher auch nicht gedacht. Ich bin nicht die, die immer schon und möglichst viel mit Kindern arbeiten wollte. Jeden Tag kann ich mir eine Kindergruppe auf dem Hof nicht vorstellen. Aber einmal die Woche macht es uns richtig viel Spaß und wir haben das Gefühl etwas total Sinnvolles zu tun. Mein Mann und ich machen das zusammen und wir empfinden es als sehr bereichernd den Hof und die Natur durch Kinderaugen zu sehen. Aktuell bieten wir Jahreskurse an. Wie das genau funktioniert findet ihr hier.
Unser Café
Neben dem Bereich Landwirtschaft macht noch das Café einen ganz großen Teil unseres Hofprojekts aus. Wir haben tolle Räume und einen fantastischen Ausblick direkt in die Auen. Einige Zeit haben wir nur nach Anmeldung und für Feiern geöffnet. Mittlerweile haben wir den Sommer über sonntags auch so auf. Ich backe den Kuchen, mein Mann und andere bedienen. Und was soll ich sagen, es macht uns total Spaß. Allen Unkenrufen zum Trotz. Sonntags auf? Dann habt ihr nie wieder richtig frei! Immer Leute da .. usw. Es war der erste Sommer. Vielleicht rede ich in einigen Jahren ganz anders. Aber bisher sind wir froh über diesen Schritt. Wir mögen es unseren Garten für andere Menschen zu öffnen und sie zu bewirten. Sie können auf die Apfelbäume schauen, die das Obst für den Kuchen gespendet haben und mit allen Sinnen genießen. Durch das Café möchten wir vielen einen besonderen Blick auf die Natur ermöglich. Sie sollen sich bei uns wohlfühlen. Für die Kinder planen wir im Frühjahr einen Naturspielplatz anzulegen. So können Sie sich austoben, während die Eltern zu Ruhe kommen. Es geht uns um Wohlbefinden und nicht darum möglichst schnell an alle Kaffee zu verteilen. (Wir schenken übrigens nur 100% fair gehandelten Kaffee aus.)
Es geht uns auch um unser eigenes Wohlbefinden. Deswegen wachsen und entwickeln wir unseren Betrieb so weiter, wie es für uns gut ist. Ständig hören wir: ihr müsst noch dies anbieten oder es so machen wie die da … Wir möchten nicht blind irgendeine Nachfrage bedienen, um schließlich Sklave des eigenen Ladens zu sein. Wir tasten uns vorsichtig dadurch und probieren aus, was uns gefällt. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass ich backen mal so gut finden würde. Vor allem hätte ich nie erwartet, dass ich in meinem Leben überhaupt mal so viel backe. Tatsächlich habe ich das vorher nur sehr selten gemacht. Auch das gefällt mir gut an der Selbstständigkeit, dass man gezwungen ist immer wieder Neues auszuprobieren und dabei so viele Überraschungen erlebt.
Ich konnte aber auch „altes“ mit einbringen. So veranstalten wir bei uns regelmäßig Lesungen, Wildkräuterführungen oder kleine Konzerte. Das organisieren war schon immer meins, auch die Liebe zu Kulturveranstaltungen. Grundsätzlich bin ich hier wohl eher die Kreative, die mit dem Kopf voller (unkonventioneller) Ideen und der Mann der analytische, der der alles durchrechnet und später handwerklich/ praktisch umsetzt. Das ist die optimale Aufteilung. Wir sind beide sehr vielseitig und uns für nichts zu schade, damit decken wir ganz viele Kompetenzen ab. Wir sind in wenigen Bereichen die Experten, können aber alles ein bisschen. Das ist perfekt für so ein Vorhaben. Außerdem macht es den eigenen Alltag abwechslungsreich. Für mich wäre das schlimmste jeden Tag und jede Woche das gleiche tun zu müssen, zu den gleichen Zeiten, die Jahreszeiten nicht zu spüren. Und nur von Wochenende zu Wochenende zu leben. (Schon allein, weil es mehr Werktage als Freitage gib 😉 )
Ich mache jeden Tag etwas anderes. Zwischendurch fahre ich sehr gerne in die Stadt. Tauche ein in die andere Welt. Lasse mich inspirieren und irritieren. Dort arbeite ich an der Uni. Hier sind ganz andere Themen wichtig und das ist gut so. Ich finde das hilfreich für den eigenen Kopf. So bleibt man offen und dreht sich nicht nur um sich selbst/ den Hof.
Das auch noch
Einiges haben wir schon geschafft auf dem Hof. In Zukunft möchten wir noch mehr Kühe halten und die Öffnungszeiten des Cafés ausweiten. Wir wollen weiterhin interessante Menschen zu uns holen. Mittlerweile haben wir eine kleine Ferienwohnung. Vielleicht gibt es Menschen, die Lust haben eine Zeitlang bei uns mitzuarbeiten und dort zu wohnen. Wir werden nicht nur weiter Gebäude renovieren und in Stand setzen, sondern auch viele kleine Projekte umsetzen, die es hier für Mensch und Tier schön machen sollen. Ein großes Insektenhotel und Nistkästen bauen steht auf jeden Fall noch auf dem Programm. Irgendwann halten wir auch noch mehr bedrohte Haustierrassen. Bienenstöcke sind auch ein Traum von mir. Hach – ich könnte noch so vieles aufzählen. Aber was die Zukunft bringt wird sich zeigen. Wir freuen uns auf jeden Fall darauf!
2 Comments
Ich bewundere immer den Schritt zum Ich.
Ihr macht alles richtig. Ich kann es auch nicht leiden, wenn mir jemand sagt, was ich wie besser machen könnte, denn ich will mich nicht mehr verbiegen lassen. Ich wurde als Kind, Jugendlicher und auch noch später von der Gesellschaft total krumm verbogen.
Damit ist nun Schluss. Ich bin nun dabei endlich nach meiner Nase zu tanzen und beginne jetzt mit 47 div. Seminare, die mich interessiere und mein Umfeld ein wenig ungläubig betrachten. (Geistheilung, Energiearbeit und Jenseitskontakte) Auch ich hoffe, dass ich auch diesen Streng-nach-Vorschrift-Job an den Nagel hängen kann, obwohl ich die allerbesten Kollegen habe, die man sich vorstellen kann. Aber dieses MUSS kann ich nicht mehr ab. Ich möchte auch endlich nach WOLLEN leben.
Deinen Beitrag werde ich mir öfters durchlesen, damit ich mich ständig daran erinnere.
Ich liebe solche Geschichten. Danke dafür.
LG
Edith
Danke dir, für diese lieben Worte!